Die Reichweite der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bereitet im Zeitalter der neuen sozialen Medien immer wieder Schwierigkeiten. Das Landesarbeitsgericht Hamburg musste sich zuletzt mit der Frage auseinandersetzen, ob die Unterhaltung eines Twitter-Accounts auch der Mitbestimmung unterliegt. Aufgrund der „Antwort“-Funktion von Twitter nahm das Gericht einen mitbestimmungspflichtigen Sachverhalt an. Es positionierte sich damit konträr zur erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts, das ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates noch ablehnte.
Der für die Kinobetriebe der Arbeitgeberin zuständige Gesamtbetriebsrat hat ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren auf Unterlassung der Nutzung des Twitter-Accounts in die Wege geleitet. Die Arbeitgeberin hat den von dem Social Media Team der Hamburger Zentralverwaltung betreuten Twitter-Account ohne Beteiligung des Gesamtbetriebsrats eingeführt. Das Arbeitnehmergremium sah darin eine Verletzung der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
Nach dessen Auffassung habe der Twitter-Account die Qualität einer technischen Einrichtung und sei daher zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle bestimmt. Die Möglichkeit der Arbeitnehmerkontrolle sei durch die dortigen Funktionen „Antwort“, „Retweet“ und „Erwähnung“ vorgegeben. Nutzer könnten mithilfe dieser Funktionen auch die Leistung und das Verhalten von Arbeitnehmern in eine der Arbeitgeberin zugänglichen Form bewerten. Dadurch ergebe sich ein Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie zusätzlich ein stetiger Überwachungsdruck auf die Arbeitnehmer. Der Gesamtbetriebsrat verwies insbesondere auf die sog. Facebook-Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts und die vermeintlich parallele Sach- und Rechtslage. Dort ging es u.a. um die Funktionalität der Besucherbeiträge in dem Facebook-Account eines Unternehmens.
Die Arbeitgeberin demgegenüber sah ausweislich der Urteilsbegründung die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG durch die Nutzung von Twitter nicht berührt. Eine analoge Betrachtung zum Facebook-Urteil hielt sie deshalb für nicht geboten, da die Funkionen von Facebook und Twitter unterschiedlicher Natur seien. Sie fügte außerdem hinzu, auf Twitter würden Nutzer nur eigene „Tweets“ absetzen, die allerdings nicht auf der Twitter-Seite des Unternehmens erscheinen würden. Diese würden vielmehr nur auf den entsprechenden Nutzerseiten sichtbar werden. Darüber hinaus würden auch die vom Gesamtbetriebsrat erwähnten Funktionen keine andere Sichtweise rechtfertigen – sie unterlägen ebenfalls nicht der Mitbestimmung des Gesamtbetriebsrats. Als Nutzerin von Twitter habe die Arbeitgeberin keinen technischen Einfluss auf „Tweets“, die an das Unternehmen gerichtet sind.
Das Arbeitsgericht Hamburg hat den Antrag des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen. Es teilte damit die Auffassung der Arbeitgeberin, wonach der Dienst Twitter keine technische Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sei. Bei seiner Begründung stellte es dabei maßgeblich darauf ab, dass nicht alle Funktionen bei Twitter eine Leistungs- oder Verhaltenskontrolle ermöglichen würden. Nur wenn dies der Fall wäre, hätte nach Auffassung der 28. Kammer des Arbeitsgerichts Hamburg der Antrag des Gesamtbetriebsrat Erfolg haben können.
Gegen diese Entscheidung legte der Gesamtbetriebsrats durch seinen Prozessbevollmächtigten Beschwerde ein und war damit erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht Hamburg kassierte daraufhin den erstinstanzlichen Beschluss und bejahte die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG durch die Nutzung von Twitter „in Gänze“. Bei diesem Dienst würde es sich nach Ansicht des Gerichts durchaus um eine technische Einrichtung handeln, mit der die Leistung und das Verhalten von Arbeitnehmern überwacht werden kann. In seiner Begründung stellte es dabei auf die Twitter-Funktion „Antwort“ ab, mittels derer die Nutzer auf die „Tweets“ der Arbeitgeberin antworten könnten. Diese Antworten wiederum könnte die Arbeitgeberin in Abhängigkeit von dem Inhalt auswerten, um Rückschlüsse über die Leistung oder das Verhalten der Arbeitnehmer zu erhalten. So könnten sich die Nutzer von Twitter zum Beispiel zu dem Service in den Kinos äußern und gezielt bestimmte Mitarbeiter in Bezug nehmen.
Für das Landesarbeitsgericht folgt hieraus unmittelbar eine Gefährdung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Arbeitnehmern. Dieses sei im vorliegenden Zusammenhang zusätzlich durch die Ausrichtung des Twitter-Accounts als Kommunikationsplattform zu den Kunden gefährdet. Daneben sei zu berücksichtigen, dass die über Twitter kommunizierten Informationen einem unbestimmten Personenkreis zugänglich sind und das Gefahrenpotenzial für das Persönlichkeitsrecht deutlich verstärken. Vor diesen Gefahren technischer Einrichtungen soll die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG aber gerade schützen.
Das Gericht geht zu recht davon aus, dass es sich bei der Nutzung von Twitter um eine technische Einrichtung handelt, die der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt. Ausgangspunkt der korrekten rechtlichen Einordnung müssen dabei die Regelungsziele der Gesetzgebung sein. Diese konnte im Jahr 1972 die technische Entwicklung und die Entstehung internetbasierter sozialer Medien noch nicht absehen. Der Verankerung der Mitbestimmung bei den technischen Einrichtungen beruhte aber auf der Beurteilung der Gesetzgebung, dass der unregulierte Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen im Arbeitsverhältnis ernst zu nehmende Gefahren für die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer mit sich bringen würde. Arbeitnehmer sollten nicht zum bloßen Objekt der Überwachung werden.
Der Rechtsprechung ist in der Verantwortung, dieses ursprüngliche Ansinnen der Gesetzgebung bei der Auslegung und Fortbildung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG im neuen digitalen Umfeld zu berücksichtigen. Geradezu beispielhaft hat sich das LAG bei der Frage, ob die Nutzung von Twitter eine technische Einrichtung darstellt, von dem Sinn und Zweck der Mitbestimmung des Betriebsrats leiten lassen. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts und der informationellen Selbstbestimmung gebietet die Mitbestimmung des Betriebsrats als Korrektiv der einseitigen Gestaltungsmacht des Arbeitgebers.
Wie bei anderen technischen Dienste auch können über Twitter Informationen über die Leistung und das Verhalten von Arbeitnehmern gewonnen werden. Und auch diesem Dienst sind die Gefahren technischer Überwachungseinrichtungen immanent. Die Bereitstellung einer elektronischen Plattform zum Austausch mit den Kunden kann die Schwelle für (unberechtigte) Reklamationen und Kritik herabsenken. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Speicherung und Wiedergabe von Nachrichten über Arbeitnehmer sowie die Zugänglichkeit für einen unbestimmten Personenkreis. Damit verbunden ist ein durchaus gravierender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Arbeitnehmern, zumal eine Löschfunktion von Twitter nicht angeboten wird. Im Lichte der gesetzlichen Regelungsziele ist die Mitbestimmung des Betriebsrats daher rechtlich geboten und zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer zwingend erforderlich.
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